Kunst in ... Duisburg (DKM), Mülheim an der Ruhr, Essen (Folkwang), Bottrop (Museum Quadrat, Josef Albers Museum), Marl (Skulpturenmuseum), Hagen (Osthausmuseum, Emil Schumacher Museum), Dortmund (Dortmunder U, Ostwallmuseum, HMKV), Hamm (Gustav-Lübcke-Museum) und Düsseldorf mit K20 + K21 + Kunstpalast


Montag, 19. Januar 2015

Hamm, Gustav-Lübcke-Museum


Henri Matisse, Körperstudien
Berühren und Begreifen – mit den Fingern schauen
Gustav-Lübcke-Museum, Hamm, 2012
Foto: Vera Kriebel, 2012

Schwerpunkte: Stadtgeschichte, angewandte Kunst, barrierefreie Kunst für Blinde

Das Gustav-Lübcke-Museum in Hamm hat seine Schwerpunkte als städtisches Museum in der Stadt- und Regionalgeschichte (tatsächlich wurde ein Mammutzahn in Ahlen gefunden :-) - innerhalb der Aufarbeitung der Hammer Stadtgeschichte dabei so spannend wie bedrückend die Spurensuche nach Tätern und Opfern der Nazizeit.

Der zweite Schwerpunkt ist die angewandte Kunst mit formvollendetem Kunsthandwerk vom Mittelalter bis heute. Außerdem hebt sich das Gustav-Lübcke-Museum durch seine ausdrückliche Barrierefreiheit und Angebote für Sehbehinderte und Blinde hervor.

Angewandte Kunst: Kunsthandwerk, Kunstgewerbe oder Design?

Sowohl Kunsthandwerk wie Kunstgewerbe werden dem Oberbegriff der Angewandten Kunst zugeordnet. Beides schafft also Kunst für den Alltag, die tatsächlich benutzt wird - Möbel, Vasen, Lampen, Schüsseln. Während Kunsthandwerk selbst gefertigte Unikate sind, werden beim Kunstgewerbe Gebrauchsgegenstände "auch in Serie, maschinell und nach fremden Entwürfen" erzeugt (Wikipedia). Kunstgewerbe entstand also demnach mit der industriellen Revolution im 19. Jahrhundert. (Wie schwierig die Abrenzung von Kunst, Kunsthandwerk und Kunstgewerbe ist, zeigt aber im Übrigen schon der Blick auf Radierungen.)

Hamm, Gustav-Lübcke-Museum
Angewandte Kunst mit
Kunsthandwerk & Kunstgewerbe vom Mittelalter bis heute
Foto: Vera Kriebel, 2012
In Hamm findet man dazu ein Stockwerk mit außerordentlichen Möbeln, filigran gearbeiteten Kaffeekannen, kostbar gewirkten Gewändern, Wandschmuck, bürgerlicher Portraitmalerei - im Rundgang erlebt man europäisches Kunsthandwerk vom Mittelalter über den Biedermeier, Jugendstil zum Bauhaus.
Wie aus Eisen Kupfer wird ...

Ein unscheinbarer Kupferbecher weist auf das Geheimnis hin, wie aus Eisen Kupfer wird ("Eisen war ich - Kupfer bin ich - Gold ziert mich" - ein Infoblatt in der Ausstellung löst das Rätsel auf).

Viele, aber beileibe nicht alle der neueren Exponate im Lübcke-Museum sind industriell gefertigte Design-Produkte des 20. Jahrhunderts. Ein paar Beispiele: Das TAC-Service von Gropius, Danilo Silvestrins Tisch "Hommage a Mondrian" (der übrigens mit Schätzwert von 5.000 Euro durchaus bezahlbar ist), herrlich grün-blau-rot-gelbe Stühle von Jean Charles de Castelbajac (My Funny Valentine, 1991), die ihr Vorbild, die Louis-XVI-Stühle nicht verleugnen, sondern über sie hinausschauen.
Kuramatas Designsessel neben japanischem Porzellan

Design - Kunst oder Handwerk?
Hamm, Gustav-Lübcke-Museum
Foto: Vera Kriebel, 2012
Einen besonderen Reiz stellt das Beieinander von Alt und Neu dar: Da steht Shiro Kuramatas Metallgeflecht-Sessel vor Vitrinen mit altem japanischen Porzellan und Delfter Fayence, Design-Stühle von Mario Botta zwischen alt-niederländischen Schränken und niederländischer Malerei aus dem 17. Jahrhundert (bei denen unter anderem auffällt, dass fast alle Menschen in ihnen buckelig oder zumindest mti sehr runden Schultern dargestellt werden).

Schade nur, dass man auch die zeitgenössischen Möbel nicht einmal ausprobieren kann. Design nur zum Angucken ist eigentlich nicht im Sinne der Erfinder! Trotzdem: Eine anregende, schöne Zeitreise durch die Welt des schönen, feinen alltäglichen Lebens von Adel und Bürgertum.

"Von der Mumienmaske zur Moderne"


2012 lief "Von der Mumienmaske zur Moderne" - eine Sonderausstellung, die durch nichts anderes zusammengehalten wurde als vielleicht das Motto "4000 Jahre Kunst" - und dadurch, dass sich der Hammer Museumsverein hier sich und seine Geschichte feierte. So war dies eigentlich auch keine Sonderausstellung, sondern die vollständige Präsentation der Sammlung des Museumsvereins.
Es fanden sich alle Sammlungsschwerpunkte wieder: ägyptische, antike, vor- und frühzeitliche Stücke, Münzen, Kunst der Moderne und Gegenwartskunst, letztere mit Hauptaugenmerk Deutscher Informel, deutsche und niederländische Zeichnungen und Druckgrafik, Kunst aus Hamm und Westfalen. Meist ist hier die zweite Reihe präsentiert, unter anderem finden sich aber Werke von Gerhard Hoehme, Bernhard Schultze, Emil Schumacher, Hann Trier, Walter Stöhrer, Hans Hartung oder Ulrich Erben.
Die Sammlung spreizt sich weit über die Jahrtausende - vielleicht ein wenig zu weit.
Hamm, Gustav-Lübcke-Museum
Foto: Vera Kriebel, 2012


Warum hat Hamm ein Kunstmuseum?

Das Gustav-Lübcke-Museum wurde im 19. Jahrhundert durch den auch heute noch wichtigsten Träger den Museumsverein gegründet, zunächst als stadt- und regionalgeschichtliches Heimatmuseum. Dann traten ägyptische Stücke hinzu, darunter als Highlight ein kompletter Mumiensarg, 1917 kam die Lübckesammlung dazu. Der aus Hamm stammende Kunstsammler und -händler Gustav Lübcke (1868-1925) brachte dem Gustav-Lübcke-Museum den Schwerpunkt Kunsthandwerk.

Nazi-Opfer / Nazi-Täter in Hamm und Umgebung

Stadtgeschichte:
Spuren zu Tätern und Opfern der Nazizeit

Hamm, Gustav-Lübcke-Museum

Foto: Vera Kriebel, 2012
Nazis und 2. Weltkrieg ruinierten das Museum fast: Wie das Folkwang-Museum verlor das Hammer Gustav-Lübcke-Museum durch Beschlagnahmungen "entarteter Kunst" seine Werke der Moderne. Bei den Bombardierungen im 2. Weltkrieg wurde das gesamte Museumsgebäude zerstört, darunter auch der Mumiensarg.

Es hat also nicht nur einen politischen, pädagogischen oder stadtgeschichtlichen Hintergrund, wenn im Rahmen der Stadtgeschichte auch der Nationalsozialismus in Hamm aufgearbeitet wird: Erzählt wird in bedrückenden Biografie-Tafeln nicht nur von Opfern, von Hammer Bürgern, die unter den Nazis zu leiden hatten, sondern auch von Hammer Nazi-Funktionären. Leider ist diese "Spurensuche"-Ausstellung nicht Bestandteil der Dauerausstellung (Verwischte Spuren – Hammer Lebenswege in der Zeit des Nationalsozialismus, 18. März 2012 - 08. Juli 2012).


Veranstaltungen, Museumspädagogik

Die Museumspädagogik stellt in der Dauerausstellung nicht nur übersichtliche Erläuterungszettel zu einzelnen Kunstwerken bereit, sondern organisiert Führungen mit und ohne kreativem Teil, Familiensonntage, Schul- und Kindergartenprogramme, Erwachsenen- und Kindergeburtstage, Ferienangebote, Fortbildungen und Tagungen, Seniorenworkshops. Regelmäßig finden "Sonntags um Drei" und "Mittwochs um Drei", Lesungen, Führungen, Gespräche statt.

Bilder zum Tasten für Blinde

Kunst für Blinde zum Tasten
Berühren und Begreifen – mit den Fingern schauen
Gustav-Lübcke-Museum, Hamm, 2012

Foto: Vera Kriebel, 2012
Etwas Besonderes beim Hammer Museum ist der schon baulich spürbare Ansatz der Barrierefreiheit. Keine Treppe, sondern eine breite Passage führt in die oberen Stockwerke und ist sowohl mit Kinderwagen wie mit Rollstuhl befahrbar. Es gibt einen Audioguide für Sehbehinderte und Sonderausstellungen für Blinde.

Vom 25.03.2012 bis 15.07.2012 fand zum Beispiel in Hamm "Kunst zum Anfassen" statt: In der Sonderausstellung "Berühren und Begreifen – mit den Fingern schauen" waren Kunstwerke reliefartig von einem blinden Künstler nach Werken von Jean Cocteau und Henri Matisse gestaltet (Fotos: siehe unten). Bilder - nicht zum Sehen, sondern zum Erfühlen. Es ist - wie eine Mitarbeiterin erklärt - zwar ein Erlebnis - "aber doch eher für Blinde. Sie wachsen damit auf und sind darin geschult - ein Sehender kann aber kaum aus den Reliefs ein Kunstwerks erkennen und schätzen."

Sehbehindert und blind werden.
Berühren und Begreifen – mit den Fingern schauen
Gustav-Lübcke-Museum, Hamm, 2012
Foto: Vera Kriebel, 2012

Warum braucht Hamm ein Kunstmuseum?

Die Frage stellt sich allerdings trotzdem - ähnlich wie bei den quantitativ üppig wuchernden Ruhrgebiets-Kunstmuseen - ob jedes Städtchen sein Kunstmuseum besitzen muss. Gibt es tatsächlich in der Provinz eine solch große Nachfrage nach Kunstmuseen? Das darf bezweifelt werden.

Im Gustav-Lübke-Museum standen an einem trüben (und deswegen idealen Museums-) Sonntagnachmittag jedenfalls drei Mitarbeitern bereit - für keinen einzigen Besucher. Wie sagt es so schön ein aufs Geratewohl befragter Passant: "Ich wohne seit 59 Jahren in Hamm, aber - offen gesagt - war ich noch nie drin. In München gehe ich oft in Museen - aber wenn man dann in solche kommt ..." Den Satz lässt er unvollendet.

Trotzdem: Ein schönes, kleines, engagiert geführtes Museum.

Infos zum Städtischen Gustav-Lübcke-Museum

  • Adresse/Kontakt: Gustav-Lübcke-Museum, Neue Bahnhofstr. 9, 59065 Hamm , Telefon 02381/175701.
  • Anfahrt: Das Gustav-Lübcke-Museum liegt nur 200 Meter vom Hauptbahnhof entfernt und eigenet sich daher auch als idealer Zeitvertreib für Bahnreisende, die etwas länger in Hamm auf ihren Anschluss warten müssen (lohnt sich ab 45 Minuten Wartezeit).
  • Öffnungszeiten: Dienstag bis Samstag 10.00-17.00 Uhr, Sonntag 10.00-18.00 Uhr, Montag geschlossen.
  • Eintrittspreise für die Dauerausstellung: 2,50 Euro, ermäßigt 1,30 Euro, Kinder bis zu 6 Jahren: Eintritt frei, Familienkarte: 5,50 Euro, Jahreskarte: 15,00 Euro (ermäßigt 7,50 Euro). Sonderausstellungen extra (etwa 3-5 Euro), zum Beispiel "Berühren und Begreifen – mit den Fingern schauen" 3 Euro (25.03.2012 bis 15.07.2012).
    Eintritt frei am ersten Sonntag im Monat (ständige Sammlung)
  • Artothek: Für Zuhause, das Büro, die Kanzlei, die Praxis - Kunst von heute aus Hamm und Westfalen zum Ausleihen (5-15 Euro pro Bild und Quartal)
  • Aktuelle Veranstaltungsbroschüre, museumspädagogisches Programm (Download)
    Veranstaltungskalender
  • Das Gustav-Lübcke-Museum ist Teil der Ruhrkunstmuseen.
(Ursprünglich 2012 erschienen auf suite101.de.)



Hamm, Gustav-Lübcke-Museum:
Offene, barrierefreie Architektur
Foto: Vera Kriebel, 2012

Glasbau - Offene Architektur?
Hamm, Gustav-Lübcke-Museum
Foto: Vera Kriebel, 2012
Offene Architektur ist dann doch anders
Hamm, Gustav-Lübcke-Museum
Foto: Vera Kriebel, 2012

Amtskantinenambiente
Hamm, Gustav-Lübcke-Museum
Offene Architektur kann auch schrecklich sein
Foto: Vera Kriebel, 2012






Stadtgeschichte: Spuren zu Tätern und Opfern der NazizeitHamm, Gustav-Lübcke-Museum
Foto: Vera Kriebel, 2012

Berühren und Begreifen – mit den Fingern schauen
Gustav-Lübcke-Museum, Hamm, 2012
Foto: Vera Kriebel, 2012
Hamm, Gustav-Lübcke-Museum
Foto: Vera Kriebel, 2012





1 Kommentar: